2017 feiert das Doppel-M der Leipziger Messe seinen 100. Geburtstag: 1917 entwarf der Leipziger Künstler Erich Gruner (1881-1966) das bekannteste Logo der deutschen Messewirtschaft. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehörte der Maler und Grafiker zu den viel gefragten Multitalenten der Messestadt. Er war nicht nur anerkannter Maler, Zeichner und Buchgestalter, sondern schuf ebenso Werbeplakate und Logos für Verlage, große Kaufhäuser oder Unternehmen und war Rektor der Leipziger Kunstgewerbeschule. Gruner gehörte zur High Society Leipzigs und blieb Zeit seines Lebens mit der Leipziger Messe verbunden.

Prägende Handschrift

Erich Gruners Handschrift prägte die gesamte Leipziger Messe: „Sie haben in dieser … Zeit Ihrer Tätigkeit bei uns und in Ihren graphischen Arbeiten einen Messestil entwickelt, der für die Leipziger Messe typisch geworden ist“, schrieb der Arbeitsausschuss des Meßamtes 1930, als Gruner die Messplakette für außerordentliche Verdienste erhielt.

Schon 1917, kurz nach seiner Gründung, vertraute das Leipziger Meßamt für die Mustermessen auf Erich Gruners grafische Fertigkeiten und engagierte ihn als künstlerischen Beirat. Erste Mission des damals 35-jährigen Künstlers: ein international unverwechselbares Logo für das Amt und die Leipziger Muster-Messe zu gestalten. Wenige Monate später war das Doppel-M geboren – bis heute Wahrzeichen der Leipziger Messe.

„Im August 1917 konnte mein Vater Erich Gruner zwei Kinder aus der Taufe heben. Seine so ersehnte und gewünschte Tochter und sein MM (Mustermesse in Leipzig). Dieses Zeichen begleitete ihn sein Leben lang, und als das große MM auf dem Messegelände am Nordtor errichtet wurde, sagte er zu mir: ‚Das ist mein Denkmal'“, erinnerte sich seine Tochter Christiane Boesch (geb. Gruner) in: „Mein Vater Erich Gruner“, 1996.

Im Auftrag des Amtes schuf Gruner unter anderem auch die Zeichnung „Altmarkt während der Leipziger Messe“ als Geschenk für die argentinische Handelskammer in Buenos Aires. Er arbeitete ebenso am Deutschen Pavillon auf der Mailänder Messe mit, wurde künstlerischer Leiter der Entwurfs- und Modellmesse und gestaltete die große Ehrenhalle zur Eröffnung der Internationalen Pelzfach-Ausstellung 1930. Im Jahr 1933 schied Erich Gruner aus dem Beirat des Leipziger Meßamtes aus. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges stand er dem Leipziger Messeamt erneut als Berater zur Seite und wurde in den künstlerischen Beirat berufen. Zwischen 1947 und 1950 schuf Gruner die 14 Sonderbriefmarken der Reihe „Die Leipziger Messe im Wandel der Zeiten“, bis heute Sammlerobjekte.

Füllhorn der Phantasie: Gruners Gesamtwerk

„Sie sind immer in Bereitschaft. … Ihnen ist keine Arbeit zu gering und keine gleichgültig. Und wenn es gar heißt, für einen Freund oder Freundeskreis Stift oder Pinsel in Bewegung zu setzen, dann flatterts und knatterts aus dem Füllhorn Ihrer Phantasie“, schrieb Freund und Verleger Gustav Kirstein in einem Brief vom 14. November 1931.

Grafiker, Maler, Zeichner, Illustrator, Karikaturist – Erich Gruner war ein vielseitiger Kreativer. Am 14. November 1881 geboren, entdeckte der Kaufmannssohn schon früh seine Liebe zur Kunst: Als Kind bemalte er Möbel und Bettbezüge, verzierte zum Schrecken seiner Umwelt sogar die Rockschöße eines Lehrers. Mit 19 Jahren studierte Gruner an der Königlichen Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe in Leipzig, ging dann mit einem 300-Mark-Stipendium in der Tasche nach Paris. Für das beginnende 20. Jahrhundert war der Leipziger ein weit gereister Mann, Menschen und Landschaften in Spanien, Portugal, Italien, Belgien, Holland und Rumänien inspirierten ihn. Mit nicht einmal 30 Jahren gestaltete er 1909 den Festumzug zur 500-Jahr-Feier der Universität Leipzig. Gruners Ausstellungen feierten Erfolge in Berlin, Wien, Amsterdam, London und Paris. In den Zyklen „Krieg“ und „Kriegstagebuch“ verarbeitete er sein Trauma als Soldat im Ersten Weltkrieg.

Doch Gruner war auch erfolgreicher Werbegrafiker, zu seinen Kunden gehörten der Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig oder der Verlag F.A. Brockhaus, er entwarf Plakate für große Kaufhäuser. Erich Gruner gehörte zur High Society Leipzigs: Max Klinger, Arnold Schönberg, Gewandhausdirigent Arthur Nikisch und Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler zählten zu seinen Bekannten. Seit 1911 war er mit der Fabrikantentochter Katharina Meyer verheiratet, 1912 wurde Sohn Wolfgang und 1917 Tochter Christiane geboren.

Der Künstler war jedoch nicht nur stiller Atelier-Arbeiter – er wollte sein Wissen weitergeben: Am 1. Januar 1931 trat er als Leiter der neu gegründeten Leipziger Kunstgewerbeschule an. Ziel des Oberstudiendirektors war es, den „eigenen Formwillen“ und die Individualität seiner Schüler zu fördern. Als erster führte Erich Gruner in Deutschland das Fach Bühnenbildgestaltung ein. Die Ausbildung übernahm der auch als Bühnenbildner erfolgreiche Universalkünstler selbst. Im Dritten Reich trat er nicht der NSDAP bei, arrangierte sich aber mit dem System.

Während des Zweiten Weltkrieges tat Erich Gruner alles dafür, seine Schule am Leben zu erhalten: Trotz Zerstörung der Lehranstalt beim Bombenangriff auf Leipzig in der Nacht vom 3. auf den 4. Dezember 1943 gab der Künstler nicht auf. Obwohl er selbst sein gesamtes Hab und Gut sowie einen Großteil seines künstlerischen Schaffens in den Flammen verloren hatte, wurde der Unterricht unverzüglich 1944 im Ausweichquartier fortgesetzt. Bevor der Studienbetrieb aus Kriegsgründen eingestellt werden musste, fanden im Januar 1945 letzte Abschlussprüfungen statt. Kurz nach Kriegsende setzte sich Gruner für die Wiedereröffnung ein. 1946 verließ er den Schuldienst und arbeitete bis zu seinem Tod am 30. Dezember 1966 weiter als freier Künstler.

„Denkmal“ Doppel-M

Erich Gruner hinterließ ein beeindruckendes Gesamtwerk, obwohl zum Beispiel von seinen 800 Radierungen der größte Teil im Krieg zerstört wurde. Er schuf unter anderem 235 Original-Lithografien, 870 Handzeichnungen, 1.580 Federzeichnungen und Illustrationen, 135 Holz- und Linolschnitte, 580 Ölgemälde und 221 Aquarelle. Er erfand sogar eine eigene Schrift, die Gruner-Antiqua.

Doch sein „Denkmal“ bleibt das Doppel-M. Direkt am Leipziger Hauptbahnhof thront es erhaben über der Stadt. 95 Meter über der Erde, neun Meter im Durchmesser – vom Dach des höchsten Wohnhauses der Messemetropole grüßt das rotierende MM die Leipziger und ihre Gäste.

Fahrbare Informationssäule zum Doppel-M der Leipziger Messe. Foto: C. Günzel

Fahrbare Informationssäule, die gemeinsam von Jo Schaller, Niels Holger Wiens (beide Halle/Saale) und mir zum 90. Jubiläum des Doppel-M der Leipziger Messe im Jahr 2007 gestaltet wurde. Mein Part: die Texte.

Der Beitrag wurde anlässlich des 90. Jubiläums des Doppel-M im Jahr 2007 für die Leipziger Messe entworfen. Ich habe damals Pressemitteilungen zu Erich Gruner sowie zur Geschichte des Doppel-M verfasst, die Texte für einen Flyer, eine Postkartenserie zum Jubiläum sowie für eine fahrbare Informationssäule beigesteuert. Die Informationssäule ist bis heute im Eingangsbereich der Leipziger Messe ausgestellt.



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