Mein langjähriger Freund und Kollege Jürgen Christ, Hackername Bishop, ist am 17. August 2025 im Alter von 63 Jahren in Leipzig verstorben und wurde heute auf dem Leipziger Ostfriedhof beigesetzt. Mit ihm ist ein kreativer Wegbereiter der digitalen Kultur für immer gegangen. Er war Datenreisender (1) und Journalist. Seine Leidenschaft galt von Beginn an dem, wofür er sich dann sein Leben lang einsetzte: digitale Selbstbestimmung und das Recht jedes Menschen, im digitalen Raum eine Stimme und ein Zuhause zu haben.
Teil des Chaos Computer Clubs (CCC)
Seit 1985 war Bishop Teil des CCC (2), hielt damals seinen ersten Vortrag auf dem Chaos Communication Congress. Seinen letzten Vortrag für den Club hielt er im Juli 2021 anlässlich der Leipzig-Premiere des Films „Alles ist Eins. Außer der 0“ über CCC-Mitgründer Wau Holland, der zugleich sein sehr guter Freund war. Bishop hatte ein Gespür für gesellschaftliche Umbrüche. Inspiriert unter anderem von Wau Holland, schrieb er 1992 über „Elektronische Demokratie. Visionen einer futuristischen Kaufgesellschaft“. Der Artikel wurde in gekürzter Fassung in der Leipziger Volkszeitung veröffentlicht. Damals verwendete Jürgen bereits den Begriff „Smartphone“ – Jahre bevor er offiziell in die technische Sprache Einzug hielt.
Digitale Kultur mitgestaltet

Schon zeitig experimentierte der 1962 in Köln geborene Bishop mit Mailboxsystemen. 1984 gründete er die Underground Mailbox Cologne (auch Underground Network Church Cologne) und 1985 den Verein Computer Artists Cologne (CAC), eine CCC-Schwesterorganisation. Zu der Zeit entwarf er die Nullnummer des Magazins Computer-Virus, das Wissen über Computertechnik und Netzwerke einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen sollte.
Computer-Hacking als Weltanschauung und damit verbunden eine unbedingte Verpflichtung für einen „Free Flow of Information“ waren für ihn Grund, den Wehrdienst total zu verweigern. 1992 wurde der Hacker Bishop als Kriegsdienstverweigerer anerkannt (CCC-Pressemitteilung von 1992 – Jürgen Christ als Kriegsdienstverweigerer anerkannt).
Recht auf ein virtuelles Zuhause
Bishop verband Ernsthaftigkeit und Humor: Als Journalist „verkaufte“ er 1992 das aus der Zeit gefallene Lenin-Denkmal in Dresden, um Geschichte nicht einfach verschwinden zu lassen. Gleichzeitig arbeitete er ernsthaft und mit großem Engagement an Konzepten für elektronische Demokratie zur basisdemokratischen Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen, woraus ein frühes Online-Debatten- (Tele-o-Log/netzforum) und Communitysystem (Telemat & Telematin) entstand. In der Online Magna Charta – Charta der Informations- und Kommunikationsfreiheit von 1997 („Wartburg-Charta“), die auch von der UNESCO gewürdigt wurde (3), forderte er Grundrechte im Netz wie ein „virtuelles Zuhause“, Verschlüsselung und freie Meinungsäußerung – lange bevor diese Themen breite gesellschaftliche Diskussionen prägten.
Bishop war offen, neugierig, witzig, unbequem, direkt, manchmal widerspenstig – aber stets getragen von der Überzeugung, dass Information frei fließen muss.
Lieber Jürgen „Bishop“ Josef Alexander: Ich bin dankbar für die Zeit, die ich mit Dir teilen durfte.
(1) Biografie-Blatt von Bishop aus dem Katalog zu einer Performance zum Thema Datenreisende von Bernd von den Brincken 1989 in Köln, an der Jürgen teilnahm (Performance_Datenreisende_1989_Bernd_von_den_Brincken_Köln).
(2) Der Nachruf des Chaos Computer Clubs für Jürgen: CCC trauert um Jürgen „Bishop“ Christ.
(3) UNESCO. (1998). INFOethics ’98: Ethical, Legal and Societal Challenges of Cyberspace – Summaries of Papers. Monte Carlo, 1–3 October 1998. UNESCO Digital Library. Artikel: Berleur, J., Rolin, J., & d’Udekem-Gevers, M. (1998). Ethics and means of regulating the Internet. In: INFOethics ’98 (pp. 287–303).
(4) Jürgen hatte drei Vornamen und verwendete sie alle von Zeit zu Zeit. Am liebsten war ihm in letzter Zeit Alex. Aber für Film- oder Kunstprojekte nannte er sich auch JAQUES.
(5) 1990 hat Jürgen alias Bishop über den ersten Kommunikationskongress KoKon 1990 in Berlin (DDR) geschrieben, den der Computerclub in Zusammenarbeit mit dem Chaos Computer Club noch vor der Wiedervereinigung im Februar im Ostberliner Haus der Jungen Talente veranstaltete (KoKon1990_Bericht_Bishop Kopie).

EPILOG
Die Erinnerung seines Mitstreiters Otfrid Weiss an Bishop:
Kennengelernt habe ich Bishop als unerschrockenen Journalisten in Dresden 1993. Da hatte er auf der Titelseite der Dresdner Morgenpost den damaligen sächsischen Sozialminister Hans Geisler mit Fotos entlarvt, die er im Morgengrauen am Flughafen Dresden geschossen hatte und die bewiesen, dass Hans Geisler Sachspenden für eine internationale Nothilfe als CDU-Parteispenden in Flugzeuge verladen ließ. Aus der Staatskanzlei habe ich ihn als Leiter des Pressereferats gegen Anwürfe unterstützt. Aber er hat sich die totalitäre Standpauke von Hans Geisler, für den „die Partei“ über allem stand, so zu Herzen genommen, dass er nicht länger als landespolitischer Journalist tätig war. Dafür war er zu feinfühlig, zu ehrlich, zu aufrichtig.
Dann hatten wir wieder miteinander zu tun, als CompuServe zahlenden Mitgliedern kündigte, die es wagten, anhaltende Kritik in den Hilfeforen zu äußern. Dagegen haben wir 1996 gemeinsam eine Online Magna Charta für Informations- und Kommunikationsfreiheit in Computernetzwerken entwickelt und am 4. Januar 1997 auf der Wartburg verkündet, die sog. Wartburg Charta.
Die UNESCO hat sie später so gewürdigt: The ‘Online Magna Charta, Charta of Freedom for Information and Communication, The Wartburg Charta’ (1997), is no more than the previous one, a ‘Charter’. It is a protesting reaction of Netizens when the US CompuServe provider blocked the access to 200 discussion fora under judiciary inquiry, in November 1995. It is a claim to the right to free speech and the freedom of opinion, information and communication, the right to ‘a virtual home’.
Mit dieser Forderung nach einem Menschenrecht auf eine eigene Mailbox und damit digitaler Existenz waren wir unserer Zeit weit voraus. Heute hängt im Internet alles von einer digitalen Identität ab, die typischerweise die eigene E-Mail-Adresse ist. Das haben wir damals schon als Grundrecht für alle Menschen weltweit gefordert.
In Amendments zur Wartburg Charta haben wir dann ein Recht auf Verschlüsselung und die Anwendung des Presserechts auf Foren, heute würde man sagen, auf soziale Medien gefordert. Auf dem 15. Chaos Communication Congress in Berlin haben wir unsere Ideen dazu dialektisch auf einem Workshop diskutiert. Bishop differenzierte damals schon weitsichtig: „Pressegesetz mit Gegendarstellungsrecht für normale Home Pages halte ich – als ehemaliger Betreiber von Mailboxen – für undurchführbar. Die Leute schlagen sich sonst die Köpfe ein, weil jeder seinen Senf zu irgendetwas, wenn seine Meinung tangiert wird, auf fremden Home Pages durchsetzen möchte.“ Wie wahr!